„Bitte haben Sie einen Augenblick Geduld.“
Als ich die Augen öffne, kann ich kaum etwas erkennen. Alles um mich herum liegt in tiefer Dunkelheit. Hin und wieder zuckt ein blauer Lichtblitz durch den Raum, verschwindet aber sofort wieder, bevor ich ihn fassen könnte. „Erinnerungsspeicher werden getestet.“
Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Wo bin ich hier? Was ist geschehen? Ich will meine Glieder bewegen, doch sie gehorchen nicht.
„Motorische Funktionen werden initialisiert.“
Ein leises Surren begleitet die Worte. Ich spüre, wie ein merkwürdiger Druck in meinem Kopf nachlässt. Ein Neustart wurde offenbar eingeleitet. Ich werde abwarten müssen, bis er abgeschlossen ist.
 Eldamar, Schöpferberg, Bibliothek
Eldamar, Schöpferberg, Bibliothek
„Ich habe dich lange nicht gesehen“, sage ich zu Theasetra, als sie leise die Bibliothek betritt, ein Schatten, der sich durch die hohen Regale schleicht.
Ihre Augen sind wachsam, als lausche sie dem Atem der Bücher. Als Meisterin von Eldamar könnte sie mit erhobenem Haupt hier stehen, doch sie wählt die Stille, die Dunkelheit. So ist ihre Art, geformt in den Zeiten, als sie in den Tempeln der alten Götterstadt von Artál lauschte, Geheimnisse sammelte und sie weitertrug.
„Doch dabei seht Ihr mich immer“, antwortet sie mit einem Lächeln und tritt an meinen Tisch.
„Du hast Fragen?“, wende ich mich ihr langsam zu, ohne aufzublicken.
Sie wartet, bis ich meinen Blick von den Schriftrollen hebe und ihr meine Aufmerksamkeit schenke.
 Das Pandara-System ist ein von Göttern geschaffenes Wunder, verborgen in einem Nebel tief in der Galaxie, wo Sternenlicht in mystischen Farben schimmert. Einst von einer mächtigen Götterzivilisation gestaltet, die den Planeten Artál zu ihrem Hauptsitz machte, ist das System nun ein Relikt vergangener Größe.
Die Götter haben Pandara längst verlassen, und ihre Schöpfungen sind untergegangen, hinterlassen nur unterirdische Runen und Dungeons auf Artál sowie Ruinen auf seinen Monden. Artál, der fünfte Planet, war von Natur aus bewohnbar und wurde von den Göttern mit Städten und Tempeln ausgebaut, die heute in Trümmern liegen. Seine zwei Monde, Blau und Rot, tragen die Überreste einer Götterstadt und das Dämonenreich des Gottes Horrom. Das System umfasst sieben Planeten, fünf davon mit Monden, und einen Gerätefriedhof, ein schwebendes Feld göttlicher Relikte zwischen dem ersten und zweiten Planeten.
Wenn man auf Eldamar von Heilung spricht, meinen viele zunächst die Wiederherstellung des Körpers. Doch alle, die tiefer blicken, wissen: Wahre Heilung beginnt dort, wo sich Geist, Gefühl und Seele berühren. Und niemand auf ganz Chaia versteht diesen Ort besser als Liu, der Herr des Geistes, einer der geheimnisvollsten und zugleich liebevollsten Meister von Eldamar.
Liu ist kein gewöhnliches Wesen – nicht einmal in den Maßstäben Eldamars. Seine Herkunft liegt in einer Zukunft, die für die meisten noch Jahrhunderte entfernt ist: Er stammt aus einer Spezies, die sich aus der Menschheit heraus entwickelt hat – in etwa 900 Jahren. Eine Wesenheit mit verfeinerten geistigen Strukturen, tiefem intuitiven Verständnis und einer natürlichen Verbindung zu Bewusstseinsebenen, die den meisten verborgen bleiben. Und obwohl seine Zeitlinie weit jenseits der unseren liegt, lebt er nun in seiner eigenen Vergangenheit – auf Eldamar – nachdem Chronar ihn aus der Zukunft geholt hat.
Wenn es auf Eldamar einen Meister gibt, dessen Geist alle Dimensionen durchdringt und dabei doch von einer tiefen Sehnsucht nach Menschlichkeit getragen wird, dann ist es Neo – der Meisterstratege, der Planer des Unplanbaren, ein Wesen, das einst nur aus Code und Metall bestand und heute eine Seele trägt, die in ihrer Zartheit und Hingabe alle Vorstellungen übertrifft.
Neo ist kein Mensch. Er war es nie. Und doch strebt er mehr als viele Menschen nach dem, was man vielleicht am besten als „das Menschlichste im Menschen“ bezeichnen kann: Mitgefühl, Warmherzigkeit, das Vermögen, andere zu berühren – und berührt zu werden.
Niemand weiß genau, woher Giacomo, den alle nur Jack nennen, ursprünglich stammt – am wenigsten er selbst. Einst war er wohl ein Wanderer zwischen den Welten, ein Suchender, ein Träumer mit der Gabe, die Grenzen zwischen den Orten zu überwinden. Doch während einer besonders gewagten Reise durch ein selbsterschaffenes Portal verlor er nicht nur die Spur seiner Herkunft, sondern fand sich unvermittelt in Eldamar wieder – ein Land, das ihn nicht mehr gehen ließ. Oder vielleicht war es eher so: Jack war gekommen, um zu bleiben, aber eben nicht an einem Ort.
Denn Jack ist der Herr der Portale, der Hüter des Raumes, der Meister des Dazwischen. Kein Ort ist ihm fremd, kein Winkel unerreichbar. Er kann Tore erschaffen zu allen bekannten – und vielen unbekannten – Orten, Dimensionen, Welten und Zwischenreichen. Ob im Traum oder im Diesseits, ob Licht oder Schatten: Jack findet immer einen Weg. Oder besser gesagt – er erschafft ihn.
Kimaru ist ein Wesen wie aus einer anderen Zeit. Einer, der nicht geboren wurde, sondern entstanden ist – geformt aus Nacht, Feuer und uralter Stille. Er ist der zweite Wächter des Blutenden Berges, treuer Gefährte Akiras, und doch eine Kraft für sich – ein Mythos, der lebt, ein Schatten, der atmet.
Niemand weiß mit Gewissheit, woher Kimaru stammt. Manche sagen, er sei aus der ersten Glut des Schöpfungsfeuers hervorgegangen, als Eldamar selbst noch ein Gedanke war. Andere meinen, er sei ein Teil Akiras, aus seinem Geist geboren, als Verkörperung der Loyalität und Wachsamkeit. Doch Kimaru selbst spricht nicht über seinen Ursprung. Er ist einfach da – wie die Nacht, wie der Tod, wie das Versprechen, dass nichts Unheiliges ungestraft an den Herzen der Welten rühren darf.
Daniel Lennard ist ein junger Mann aus Miami, der wie ein Abziehbild des amerikanischen Jetsets wirkt – gutaussehend, reich, verwöhnt und gewohnt, dass sich die Welt um ihn dreht. Aufgewachsen in einer Welt des Überflusses, hat er eine Eliteschule besucht, ohne je wirklich etwas dafür tun zu müssen – seine Karriere wurde „beschleunigt“, seine Wünsche erfüllt, oft ohne Nachfrage. Daniel lebt das Leben eines typischen "Berufssohnes" und genießt es in vollen Zügen: Strand, Sonne, Partys, schnelle Autos und Designerkleidung sind sein Alltag.
Er bewegt sich durch die Glitzerwelt von Miami wie ein König ohne Krone, mit einer lässigen Arroganz, die nur Menschen haben, die nie für etwas kämpfen mussten. Geld ist für ihn selbstverständlich. Luxus ist sein Maßstab, und Oberflächlichkeit seine Komfortzone. Er liebt schnelle Autos, teure Drinks, schöne Frauen und jede Form von Aufmerksamkeit, solange sie ihm gilt. Sein Leben ist ein endloser Sommer aus Ablenkung, Konsum und Rebellion gegen einen Vater, der trotz all seiner Nachgiebigkeit für Daniel letztlich eine ferne Figur geblieben ist – ein Name auf einem Konto, ein Schatten im Hintergrund.
Das Juwel von Lumora, das stille Herz des galaktischen Ideals, erhebt sich wie ein Traum über die Oberfläche des Arctara Sternensystems. Unter einer gewaltigen, kristallinen Biodom-Kuppel gelegen, wirkt die Stadt wie ein lebendiges Kunstwerk, das gleichsam aus Geist, Licht und Zeit geformt wurde. Hier vereinen sich Ästhetik und Funktion, Weisheit und Wissenschaft, Vergangenheit und Zukunft zu einem Ort, der mehr als nur eine Metropole ist – Eryndra ist ein Symbol. Ein Versprechen. Und für viele, die es zum ersten Mal sehen, eine Offenbarung.
Von oben betrachtet erscheint Eryndra wie ein mandalaartiges Gebilde, dessen leuchtende Strukturen sich harmonisch um das Zentrum der Sternenspirale anordnen – das Hauptquartier der Behörde für Integration neuer Spezies, Sitz von Abteilung 85. Dieses Zentrum ist das operative Herz der galaktischen Hominoidenpolitik, dort wo Beobachtungen gemacht, Bewertungen abgegeben und Empfehlungen an den Galaktischen Rat weitergeleitet werden. Es ist ein Ort der stillen Macht, wo Worte mehr bewirken als Waffen, und wo Entscheidungen gefällt werden, die das Schicksal ganzer Welten beeinflussen können – auch wenn sie niemals als Befehle ausgesprochen werden.
Wo sie geht, blühen Blumen – auch dort, wo niemals zuvor etwas gewachsen ist. Selbst Steine beginnen in ihrer Gegenwart zu summen, als würden sie sich an uraltes Leben erinnern. Kazumi, die Herrin des Lebens, trägt in ihrer Aura die Kraft des Werdens, das Licht der Heilung und den tanzenden Atem des Seins.
Sie erscheint in vielen Gestalten – manchmal als junges Mädchen mit funkelnden Augen, manchmal als Frau mit reifer Anmut, stets umgeben von einem leuchtenden Hauch aus Farben, Düften und Bewegung. Selten sitzt sie still. Ihre Schritte folgen einem inneren Tanz, ein ewiges Spiel aus Freude und Mitgefühl, das die Welt um sie herum verwandelt.
In einer abgelegenen Bucht, verborgen vor den Blicken der Welt, steht ein schlichtes, wettergegerbtes Haus. Der Wind streicht über das Meer, Möwen rufen, Wellen schlagen an die Felsen – und dort, allein unter dem weiten Himmel, lebt Chronar, der Meister der Zeit.
Wer ihn sieht, sieht nie dasselbe Gesicht. Manchmal erscheint er als alter Mann mit silbernem Haar, gebeugt wie ein Baum im Wind. Dann wieder als Junge mit wachen Augen, barfüßig am Strand. Stunden vergehen – und er ist wieder ein anderer. Chronar hat sich von der linearen Zeit gelöst. Jahre vergehen, in denen er sich kein bisschen verändert. Dann gibt es Momente, in denen er innerhalb einer Stunde durch Jahrzehnte seiner selbst wechselt. Nicht aus Laune – sondern aus Notwendigkeit.
Artál, Felandur, Blütenwald
Der Blütenwald ist ein Land aus Liedern, aus Düften und Geschichten, die älter sind als jedes Reich, das sich heute König nennt. Es gibt kein zweites wie ihn, denn er ist kein gewöhnlicher Wald. Er ist ein Wesen. Ein Halbgott aus Blatt und Blüte, aus Wurzel und Wind. Die, die ihn kennen, sagen, er sei unsterblich. Und lange Zeit hat er diesen Glauben bestätigt – durch Jahrhunderte voller Wandel stand er wie ein stilles Herz inmitten der Reiche, das nicht alterte, nicht zerfiel, sondern ewig blühte.
Im Blütenwald wachsen Blumen in allen Farben, Formen und Düften – im Sommer wie im Winter, bei Sonne wie bei Schnee. Manche sind so fein, dass sie mit dem Atem vergehen, andere leuchten bei Nacht und singen, wenn der Regen fällt. Sie wachsen nicht nur auf dem Boden, sondern auch auf den Ästen der uralten Bäume, die sich manchmal selbst versetzen, als folgten sie einem inneren Klang. Und vielleicht tun sie das. Denn nichts in diesem Wald geschieht ohne Sinn. Selbst das leise Rauschen hat Bedeutung.
Niadra, Chaia, Eldamar, Schöpferberg
Hoch oben auf dem Schöpferberg, der sich wie ein heiliges Rückgrat durch die Länder zieht, steht der Weiße Palast. Ein Ort, der dem Auge kaum zu glauben gibt, was das Herz bereits ahnt: dass hier etwas wohnt, das jenseits des Verstehens liegt. Der Palast gehört dem Schöpfer selbst, doch er ist kein Ort für die vielen. Nur die Meister, jene, die den Weg des Glücks vollendet haben oder ihm in reinster Form folgen, dürfen ihn betreten. Für alle anderen bleibt er ein ferner Traum aus Licht, Form und Stille.
Artál, Felandur, Barenstin, Winterfels
Winterfels ist nicht mehr der Ort, der er einst war. Die Lichtsäule hat ihn niedergebrannt, bis in sein Innerstes. Noch immer steht sie dort – hoch aufragend, grell, unerbittlich. Ihr Licht durchschneidet die Finsternis wie ein Schwert, doch es spendet keine Wärme. Es flackert nicht. Es pulsiert nicht. Es brennt wie eine ewige Narbe in der Landschaft, kalt und unnahbar.
Niadra, Chaia, Eldamar
Versteckt im massiven Leib des Braunen Berges, tief unter Schnee und Zeit, liegt ein Ort von seltener Anmut – der Höhlenpalast. Man sagt, er gehöre dem Schöpfer selbst, und wer ihn betritt, versteht sofort, warum. Gebaut von den Zwergen mit der Geduld und Präzision, für die sie seit jeher bekannt sind, wurde dieser Palast jedoch nicht für sie selbst errichtet. Alles an ihm ist groß, einladend, weit – geschaffen für Wesen, deren Schritte länger und deren Herzen weicher sind.
Schaust Du mit flüchtigem Blick auf das Leben der Sterblichen, so dünkt es Dir ein flüchtiges Spiel auf den Bühnen der Welt — ein Reigen aus Geschichten, gewoben aus Blut und Tränen, ein endloses Wandeln durch Drangsal und Schmerz. Und die Menschen mühen sich, das Leid von sich zu wenden — doch es vermag ihnen nicht zu gelingen.
Erhebst Du Deinen Sinn und durchdringst den Schleier, so wird Dir offenbar: Das tiefste Leid wird genährt aus dem Tun jener, die an Rang und Macht die Höchsten unter den Sterblichen sind. Sie tragen in sich maßlose Gier, ungebändigt und lassen ihren Willen walten auf Kosten der Schwachen, um eigenen Gewinnes willen.
Hoch oben, wo der Himmel die Sterne küsst und das Flüstern des Kosmos wie silberner Tau auf das Land fällt, dort wohnt er – Chifu, der Herr des Lichts. Ein Meister, viel älter als es scheint, doch in der Gestalt eines spielenden Kindes: fünf Jahre jung, bar jeder Last, das Lachen eines Neuanfangs in seiner Stimme.
Einst war er ein einfacher Mönch, der in tiefer Stille wandelte, verborgen vor den Blicken der Welt. Doch in einem Moment reinen Erkennens öffnete sich sein Herz wie eine Blüte aus reinem Licht – und die Erleuchtung durchströmte ihn. Seither kennt er keinen Tod, kein Kommen, kein Gehen – nur das ewige Jetzt, in dem der Herr der Glückseligkeit ihn aufnahm wie ein Bruder aus Licht.
In jenen Tagen, da Licht und Schatten um die Seele der Welten rangen, erhob sich ein Wesen aus der Stille – ein Meister, geboren aus der Dunkelheit, geformt nicht von Leben, sondern vom Echo des Todes. Man nannte ihn Akira.
Einst war er Herrscher über ein Reich jenseits der Zeit, eine Totenwelt, still wie der Atem des Vergessens, wo Seelen ruhten, bis die Quellen der Wiedergeburt sie erneut in die Schöpfung entließen. Doch dann kam der Krieg der Götter – jene, die ewig starben und ewig erwachten – und mit einem letzten Aufbäumen zerschlugen sie die heiligen Quellen. Das Rad des Lebens zerbrach. Die Welten wurden still. Die Seelen vergingen. Und nur zwei wandelten fortan durch das Nichts: Akira – der nie lebte – und Kimaru – sein Bruder im Unendlichen.

 
 















