zeitalter

Schaust Du mit flüchtigem Blick auf das Leben der Sterblichen, so dünkt es Dir ein flüchtiges Spiel auf den Bühnen der Welt — ein Reigen aus Geschichten, gewoben aus Blut und Tränen, ein endloses Wandeln durch Drangsal und Schmerz. Und die Menschen mühen sich, das Leid von sich zu wenden — doch es vermag ihnen nicht zu gelingen.

Erhebst Du Deinen Sinn und durchdringst den Schleier, so wird Dir offenbar: Das tiefste Leid wird genährt aus dem Tun jener, die an Rang und Macht die Höchsten unter den Sterblichen sind. Sie tragen in sich maßlose Gier, ungebändigt und lassen ihren Willen walten auf Kosten der Schwachen, um eigenen Gewinnes willen.

Blickst Du noch tiefer, so erkennst Du: Hierin offenbart sich der uralte Strom der Natur selbst, die in allem wirkt. Es ist ihr Wesen, stets jene Formen erstarken zu lassen, die sich gegen andere behaupten. So lenken die Hohen die Geschicke der Welt, und das Recht des Stärkeren wird aufs Neue geboren.

Dringst Du noch weiter in die verborgenen Schleier, so erschaut dein Geist: Es sind uralte Gesetze, gewoben in das Gewebe des Himmels und der Erde, die in allen Zeiten walten. Verkörpert in Fleisch und Geist sind sie, und keines der Wesen bleibt ihrem Wirken entrückt. Doch dies bringt Leid, und immer wieder rufen diese Kräfte Verderben und Untergang herbei.

Begreifst Du dies in Deinem Innersten, so wirst Du gewahr: Die Welt gleicht einem schwankenden Bau, der auf losem Grunde ruht. Je höher sein Streben, desto wankender sein Bestand. Stets droht er zu zerbrechen, zu zerrinnen zwischen den Händen der Sterblichen — denn die Schöpfung selbst ist durchzogen von Mängeln und Fehlern, und ihr Grund ist unstet.

Und wenn Du dies erkannt hast und Dein Herz es trägt, so wirst Du verstehen: Längst wäre alles zerfallen und vergangen, wäre da nicht ein heiliger Strom, der alles erhält — ein Kreislauf von Erneuerung, von Wiedergeburt und Heilung. Ohne diesen uralten Quell, der unablässig wirkt und selbst die Mängel wiederkehren lässt, wäre weder Himmel noch Erde mehr.

Und wenn Du dies durchdrungen hast, so erkennst Du: Alle Wesen — und der Mensch an vorderster Stelle — sind selbst Glieder jenes ewigen Stromes. Verkörpert in Blut und Geist tragen sie den Drang des Erhaltes in sich. Vom ersten Atemzug bis zum letzten ringen sie — Herzschlag um Herzschlag, Stunde um Stunde — wider den Verfall, wider das Vergehen all dessen, was ihre Hände und Gedanken erschufen.

Doch in diesem ewigen Ringen wohnt ein bitteres Wissen: Trotz aller Mühe, trotz allen Strebens wird das Ende gewiss sein. Denn eines Tages wird die große Zerstörung kommen, und keiner wird ihr entrinnen — denn auch der weite Himmel selbst kann nicht ewig bestehen.

~ Chronar, Meister von Eldamar