Blütenwald 001

Artál, Felandur, Blütenwald

Der Blütenwald ist ein Land aus Liedern, aus Düften und Geschichten, die älter sind als jedes Reich, das sich heute König nennt. Es gibt kein zweites wie ihn, denn er ist kein gewöhnlicher Wald. Er ist ein Wesen. Ein Halbgott aus Blatt und Blüte, aus Wurzel und Wind. Die, die ihn kennen, sagen, er sei unsterblich. Und lange Zeit hat er diesen Glauben bestätigt – durch Jahrhunderte voller Wandel stand er wie ein stilles Herz inmitten der Reiche, das nicht alterte, nicht zerfiel, sondern ewig blühte.

Im Blütenwald wachsen Blumen in allen Farben, Formen und Düften – im Sommer wie im Winter, bei Sonne wie bei Schnee. Manche sind so fein, dass sie mit dem Atem vergehen, andere leuchten bei Nacht und singen, wenn der Regen fällt. Sie wachsen nicht nur auf dem Boden, sondern auch auf den Ästen der uralten Bäume, die sich manchmal selbst versetzen, als folgten sie einem inneren Klang. Und vielleicht tun sie das. Denn nichts in diesem Wald geschieht ohne Sinn. Selbst das leise Rauschen hat Bedeutung.

Jeder Baum, jeder Stein scheint beseelt. Wer lange verweilt, spürt die Gegenwart einer Ordnung, die sich nicht befehlen lässt. Der Wald weiß, was geschieht. Und er lässt geschehen, was geschehen darf. Doch wenn Gefahr naht, wehrt er sich – nicht mit Waffen, sondern mit Willen. So haben Barenstin und Wanderland wieder und wieder versucht, sich seiner Wurzeln zu bemächtigen, doch der Wald hat sich nie unterworfen. Er schützt sich selbst. Und er wird gehütet von einem Volk, das seine Sprache kennt.

Die Hüter sind mehr als nur Wächter. Sie sind Freunde des Waldes, Schüler seiner Weisheit, Diener seines Gleichgewichts. Von Geburt an wachsen sie mit ihm, lernen von ihm, und wenn sie alt sind, kehren sie zu ihm zurück – nicht im Tod, sondern in Form. Der oberste unter ihnen wird der Oberste Hüter genannt. Er trägt keine Krone, doch sein Wort hat Gewicht, denn es ist durchdrungen vom Klang des Waldes selbst.

Der Blütenwald ist auch ein Ort der Liebe. Verliebte aus allen Reichen reisen hierher, um ihre Bündnisse zu schließen. Zwischen Birken, unter Kronen aus Blüten und Moos, sprechen sie ihre Gelübde. Und der Wald hört zu, schweigt, atmet. Selbst die Tiere, die in anderen Ländern gefürchtet werden – Wölfe, Bären, Schlangen – sind hier friedlich gegenüber allen, die in Achtung kommen. Sie leben mit den Menschen, nicht gegen sie. Manchmal sieht man einen Wolf einen Pfad begleiten oder einen Hirsch, der sich neben einem Reisenden niederlegt, als wollte er sagen: Du bist willkommen.

Doch in jüngster Zeit zeigt der Wald erste Zeichen von Veränderung. Zwischen all dem Licht und Blühen sind Risse entstanden – feine Linien im Gewebe der Unsterblichkeit. Durch diese Risse dringt etwas Dunkles. Etwas, das nicht von hier stammt. Kreaturen, deren Ursprung kein Mund benennen kann, schleichen durch die Nebel, kaum sichtbar, doch fühlbar. Sie meiden das Licht, doch sie sind da. Und der Wald – der einst so gewiss war in seiner Kraft – scheint zu lauschen, als ob er selbst nicht mehr sicher ist, was kommen wird.

Dennoch bleibt er, was er immer war: ein lebendiges Wunder. Ein Ort zwischen den Welten, zwischen dem Jetzt und dem Immer. Wer ihn betritt, betritt mehr als nur einen Ort. Er betritt ein Versprechen, das von Blüten getragen wird. Der Blütenwald lebt, auch wenn er nun tiefer atmen muss. Auch wenn seine Lieder sich verändern. Vielleicht ist es nur ein Übergang. Vielleicht ein neues Erwachen. Doch eines ist gewiss: Sein Herz schlägt weiter. Und es ruft.